TILOPAS MAHAMUDRA UPADESHA

Tilopas Gesang von Mahamudra

in einer Übersetzung/Interpretation nach Heisan

 

Das große Siegel – Mahamudra  - ist jenseits aller Worte und Bilder. Aber dir, Naropa, dem ernst und gewissenhaft Übenden, sei dennoch so viel gesagt:

 

Die Leere bedarf keiner Stütze. Das große Siegel - Mahamudra  - stützt sich auf Nichts. Anstrengungslos, gelöst und völlig natürlich bleibend, kann das Joch zerbrechen und Befreiung geschehen.

 

Wenn du mit wachen Augen nach Nichts suchst und zugleich der Geist den Geist erblickt, verschwinden alle Unterscheidungen und es geschieht Buddhaschaft.

 

Die Wolken, die durch den Himmel wandern, wurzeln nirgends und haben keine Bleibe. Ebenso wenig die unterscheidenden Gedanken, die durch den Geist ziehen. Aus dem erkennenen Geist blickend, hört jede Unterscheidung auf.

 

Formen und Farben bilden sich im Raum, aber der Raum selbst ist weder schwarz noch weiss. Aus diesem Geist jenseits des Geistes, dem wahren Selbst, entstehen alle Dinge, aber der Geist selbst bleibt von Tugenden und Lastern unbefleckt.

 

Die Finsternisse der Jahrtausende vermögen die strahlende Sonne nicht zu verdunkeln, wie auch die Zeitalter des Samsara das helle Licht des Geistes nicht verbergen können.

 

Obwohl wir Worte gebrauchen, um die Leere zu erklären, ist doch die Leere selbst nicht erklärbar. Wir sagen zwar: "Der Geist, das reine Bewusstsein, ist ein helles Licht", doch lässt es sich mit Worten und Bildern nicht erfassen. Lass Körper und Geist entspannen, halte den Mund geschlossen und verharre im Schweigen, lass deinen Geist leer werden und denke an nichts.

 

Gleich einem hohlen Bambus ruhe bequem im Körper. Nicht anhaftend, noch ablehnend, lasse deinen Geist zur Ruhe kommen. Das große Siegel - Mahamudra  -  ist wie Geist, der an nichts klammert. Wenn du dich darin übst, geschieht Buddhaschaft ganz von selbst.

 

Kein üben von Mantras und Paramitas, keine Unterweisung in Sutras und Geboten, kein Wissen aus Schulen und Schriften führt zur Erkenntnis der dir eingeborenen Wahrheit. Denn wenn der Geist nach etwas strebt, erfüllt von Sehnsucht nach dem Ziel, verhüllt er damit nur sein eigenes Licht.

 

Wer sich an tantrische Gebote hält und dennoch andere verurteilt, begeht Verrat am Geist der Gebote. Gib alles Tun und Erlangen wollen auf.

 

Lass die Gedanken kommen und gehen wie sie wollen, gleich den Wellen des Meeres. Wer niemals das Gesetz des Nicht-Verweilens noch das Prinzip des Nicht-Unterscheidens vergisst, der richtet sich nach tantrischem Gebot.

 

Wer alles Begehren aufgibt und sich an nichts mehr klammert, erkennt den wahren Sinn der Schriften. Das große Siegel - Mahamudra -  verbrennt alles Karma. Das große Siegel - Mahamudra -  erlöst und befreit vom Gefängnis der Welt. Es ist die hellste Flamme des Dharma. Die das nicht glauben, sind Narren, die sich in Gedanken von Elend und Sorgen ewig wälzen.

 

Verlass dich, um zur Freiheit zu gelangen, auf die Hilfe eines Lehrers. Empfängt dein Geist seinen Segen, ist die Befreiung nah. Alle Dinge dieser Welt sind ohne Bedeutung, nichts anderes als Keime neuer Leiden. Geringe Lehren predigen das Tun. Du solltest der großen Lehre des Nicht-Tun folgen.

 

Die königliche Sicht geht über alle Dualität hinaus. Die königliche Übung überwindet alle Ablenkung. Die Übung des Nicht-Tun ist der Weg aller Buddhas. Wer diesen Weg betritt, wird augenblicklich Buddha sein.

Vergänglich ist diese Welt - substanzlos wie Phänomene und Träume. Entsage ihr und verlasse die deinen. Zerschneide die Bande von Gier und Hass.

 

Meditiere an jedem Ort. Wenn du ohne Mühe gelöst und natürlich im ursprünglichen Sein verweilst, wirst du das große Siegel - Mahamudra -  erkennen und das Nicht-Erreichbare erreichen.

 

Durchtrenne die Wurzel des Baumes und die Blätter werden welken. Durchtrenne die Identifikation mit dem Verstand und die Idee von Samsara zerfällt. Jedes beliebige Licht vertreibt in einem einzigen Augenblick die Dunkelheit ganzer Zeitalter. Das helle Licht des Geistes verbrennt mit einem Blitz den Schleier der Unwissenheit.

 

Wer sich an den Verstand klammert, sieht nicht die Wahrheit jenseits des Verstandes. Wer sich bemüht das Dharma zu üben, sieht nicht die Wahrheit, jenseits aller Übung.

 

Wer wissen will was jenseits von Verstand und Übung ist durchtrenne mit einem Schlag die Wurzeln der Identifikation und verharre im reinen Gewahrsein. Ablassend von aller Unterscheidung des Denkens verweile in grenzenlosen Frieden.

 

Ohne Gier und Hass verbleibe natürlich, denn das große Siegel – Mahamudra -  liegt jenseits von Anhaftung und Ablehnung. Weil das reine Bewusstsein nicht geboren ist, kann niemand es behindern oder beflecken.

 

Wer im Ungeborenen verweilt, dem löst sich alle Illusion ins Dharma auf. Ich-Wille und Stolz verschwinden im Nichts.

Die höchste Erkenntnis geht über alle Erkenntnis hinaus. Das höchste Tun fließt aus der unerschöpflichen Quelle ohne daran zu haften. Die höchste Vollendung erkennt das "so sein" ohne jede Hoffnung und Täuschung.

 

Am Anfang des Weges fühlt ein Übender seinen Geist abstürzen wie einen Wasserfall. In der Mitte des Weges fließt er wie der Ganges langsam und ruhig dahin. Am Ende des Weges ist er ein großes unendliches Meer, wo das Licht von Sohn und Mutter in eins verschmelzen.