12 Innen - Kette wechselseitig bedingten Entstehens

Während seiner Zazen-Praxis unter dem Bodhibaum war das Ziel des Buddhas Alter, Krankheit, Leiden und Tod zu überwinden. So stellte er sich selbst die Frage wodurch Alter und Tod bedingt sind. Aus didaktischen Gründen unterwies er die 12 wechselseitigen Ursachen in umgekehrter Reihenfolge und begann damit, was er als die letzte Ursache erkannt hatte:

 

Unwissenheit: Vergleichbar mit einem Auge, das sich selbst nur im Spiegel betrachten kann, ist es dem Geist nur in Zazen möglich, sich selbst zu erkennen. Aus der grundlegenden Unwissenheit über die vier edlen Wahrheiten und seiner wahren Natur entstehen falsche Anschauungen, insbesondere die Vorstellung eines Selbst, dass sich getrennt von allem anderen erfährt. Gehen wir von der Wiedergeburtenlehre des Buddhismus aus, so bezieht sich die Unwissenheit auf ein vergangenes Leben. Da unser Ego aber in jedem Augenblick neu geboren wird, können wir auch allgemein von der Unwissenheit in der Vergangenheit sprechen. Die grundlegende Unwissenheit führt jedenfalls zu

 

Formationskräften: Durch die grundlegend falsche Sicht der Wirklichkeit entstehen sogenannte karmische Formationskräfte, sprich die Ausrichtung des Geistes auf von ihm als getrennt wahrgenommene Objekte. Auch dieses Glied in der Kette bezieht sich auf die Vergangenheit und führt zu

 

Bewusstsein: Das Bewusstsein spiegelt die inneren und äußeren Phänomene und birgt in sich die Möglichkeit einer Identifikation mit dem Erlebten. Das Erleben von Bewusstsein beinhaltet die Vorstellung der Dualität, einer Trennung zwischen Subjekt und Objekt.

 

Name und Form: Das Bewusstsein identifiziert sich mit einer Form. Unsere physische Form, unser Körper, ist eine der sogenannten fünf Ansammlungen oder Skandas. „Name“ steht in diesem Zusammenhang für die restlichen vier sogenannten formlosen Skandas: Gefühle, Gedanken, Wahrnehmung und Bewusstsein. Mit diesem Glied in der Kette des wechselseitigen Entstehens kommt es zur Empfängnis oder zur grundlegenden Möglichkeit überhaupt Erfahrungen zu machen.

 

Sinnesorgane: Durch „Name und Form“ entstehen unsere Sinnesorgane und deren Tätigkeiten wie sehen, hören, riechen, schmecken, fühlen und Bewusstsein. Im Buddhismus wird unser Bewusstsein als sechstes Sinnesorgan bezeichnet. Am oben genannten Beispiel kommt es zur Entwicklung des Embryos oder zur Möglichkeit der augenblicklichen Erfahrung.

 

Kontakt: Durch unsere Sinnesorgane, das Objekt der Wahrnehmung und unser Bewusstsein des Wahrgenommenen entsteht Kontakt oder Berührung mit der Welt. Der Kontakt mit der Welt, selbst schon im Mutterleib, ist augenblickliche Erfahrung im Hier und Jetzt und dies führt zu

 

Gefühlen: Durch den Kontakt entstehen angenehme oder unangenehme, gute oder schlechte Gefühle, aber auch eine Gleichgültigkeit dem Wahrgenommenen gegenüber. Diese Gefühle basieren auf Konzepten mit denen wir versuchen die Welt zu verstehen und einzuordnen. Diese Konzepte und gedanklichen Vorstellungen sind aber nicht die Welt. Man könnte sagen, dass Sie der Landkarte, aber nicht dem eigentlichen Gebiet entsprechen. Das Fühlen führt zur Anhaftung und zum

 

Verlangen: Das Verlangen oder die Gier entsteht auf Grundlage unserer Gefühle. Gier bedeutet in diesem Zusammenhang auch, negativ wahrgenommene Phänomene nicht zu wollen und abzulehnen. Am Beispiel mit dem Kind im Mutterleib könnte man sagen, dass bereits hier durch Gefühle bestimmte Verhaltensweisen und Muster entstehen und daraus resultierend ein Verlangen. Bezogen auf unser Leben entscheiden unsere unbewussten Ge-danken und Gefühle über unser Verhalten.

 

Ergreifen: Unsere, der Gier entsprechenden Handlung, führt dazu etwas ergreifen oder festhalten zu wollen. Positive Gefühle wollen wir vermehren, erzeugen und festhalten, negative Gefühle vermeiden. Dies führt zum

 

Werden: Dies bezeichnet die Kraft oder Energie unseres Karmas, unserer Handlungen durch Tat, Sprache oder Gedanken und führt zu einer entsprechenden Entwicklung oder einem Werden. Das Kind im Mutterleib entwickelt sich weiter. Der Mensch im Augenblick erlebt das Werden in Form von unbewusst gesteuerten Handlungen und fühlt sich als Spielball des Lebens. Statt selbst zu bestimmen, wird er von den unbewussten Mustern, Gedanken und Gefühlen mitgerissen und erlebt Leiden und

Unzufriedenheit.

 

Geburt: Durch die Geburt beginnt der Kreislauf von neuem und wir erleben Alter, Krankheit und Tod. Auf einer subtileren Ebene erleben wir den ständigen Wandel der Unbeständigkeit. Alles verändert sich und ist der Vergänglichkeit unterworfen. Die Geburt ist die Ursache für

 

Alter und Tod: Der Ausgangspunkt von Buddhas Suche und gleichzeitig die Ursache für den ewigen Kreislauf des Daseins. Warum gibt es Alter und Tod und wie können wir Alter und Tod überwinden?

 

Stell Dir vor wie der Buddha in Zazen saß und eine Antwort auf die oben genannte Frage suchte. Was ist die Ursache von Alter und Tod? Die Geburt ist die Ursache von Alter und Tod. Was aber ist die Ursache der Geburt? Und so weiter und so weiter. Aus meiner Sicht heraus bezeichnet Geburt ein Werden im ständigen Wandel der Unbeständigkeit.

 

Das bedeutet, dass wir in jedem Augenblick neu geboren werden, aufgrund der inneren und äußeren Einflüsse, in jedem Augenblick ein anderer Mensch sind, bezogen auf unsere Gedanken, Gefühle, Wahrnehmung und Bewusstsein. Und selbst unser Körper ist dem ständigen Wandel in Form des Gasaustauschs in der Lunge, der Zirkulation unseres Blutes und dem Absterben von Hautschuppen unterworfen.

 

Im Zen wird, im Gegensatz zum allgemeinen Buddhismus, aber auf die direkte Erfahrung der Leerheit hin gewiesen und nicht auf die Spekulation eines Lebens nach dem Tod oder einer Wiedergeburt. Hier und jetzt sollen wir die Wahrheit verwirklichen. Alle spekulativen Überlegungen und jede Form des begrifflichen Denkens muss zwangsläufig zu Verwirrung und Leiden führen. Aus Sicht der relativen Wirklichkeit geht es doch bei der Verkettung um folgendes: Wahrnehmung über die Sinnesorgane löst, die seit unserer Zeugung entstandenen gedanklichen Verhaltensmuster, und damit eine ganze Flut von Gefühlen und Handlungen aus, von denen wir die wenigsten wirklich bewusst tun.

 

Jemand äußert uns gegenüber Kritik und völlig automatisch fühlen wir uns angegriffen, mit den dazu gehörigen Gefühlen und Verhaltensweisen. Was aber wäre, wenn wir diese Kette unterbrechen könnten und die Kritik zunächst im Licht der Weisheit betrachten würden? Vielleicht erkennen wir dann den eigentlichen Grund hinter der Kritik oder sind sehr dankbar, weil wir etwas dazu lernen können.

 

Unser Verhalten muss nicht zwangsläufig von unserem Ego-Ich gestaltet werden, sondern kann mit Weisheit und Achtsamkeit unser Lei-den auf der relativen Ebene des Verstehens minimieren. Schlussendlich gesehen gibt es zwar die gedankliche oder gefühlsmäßige automatische Reaktion auf die Kritik, aber es gibt im Grunde niemanden der diese Reaktion hat.

 

Das illusionäre „ich“ entsteht lediglich durch einen Gedanken wie zum Beispiel „Ich werde angegriffen und kritisiert.“ In Wahrheit gibt es da niemanden der kritisiert wird. Das ist lediglich ein Gedanke der genauso von alleine entsteht und vergeht wie alles andere auch. Das Resultat dieser Einstellung ist pure Gelassenheit im Augenblick.

 

Aus dem Buch "ZEN - Erleuchtung und andere Missverständnisse"