Vom Wasser trinken und vom Durst stillen

Die Essenz fast aller spirituellen Wege und der mystischen Seite vieler Religionen ist immer die eine Sache. Im Zen wird es die Sache von Leben und Tod genannt. Doch was ist diese eine Sache, die natürlich weder eine Sache noch ein Ding ist?


Kürzlich schrieb mir jemand, dass es ziemlich gewagt ist, das Ziel aller spirituellen Weg über einen Kamm zu scheren und fragte mich, ob ich alle spirituellen Wege gegangen wäre, um diese Aussage treffen zu können?

Nein, natürlich bin ich nicht alle Wege gegangen. Aber wir müssen auch nicht sämtliche Wassersorten probieren, um zu wissen wie es sich anfühlt Wasser zu trinken. Aber Achtung, ich spreche nicht vom Geschmack des Wassers, sondern wie es sich anfühlt Wasser zu trinken.

Ich spreche von einer Erfahrung, einer Erkenntnis. Der Geschmack des Wassers ist immer unterschiedlich. Wer das nicht glaubt, kann einmal ein Glas Salzwasser trinken und zusehen, wie der Körper darauf reagiert.

Vor einigen Jahren schrieb ich in einem Gedicht

„Nie gab es so viele Leher wie in der heutigen Zeit, doch viele verunreinigen den Geist Buddhas. So wie die Nebenflüsse durchtränkt sind von Schlamm und die Reinheit der Quelle für immer eingebüßt haben.“

Aber im Grunde stimmt das so nicht ganz. Die Reinheit der Quelle ist selbst in, durch Schlamm durchtränkten, Nebenflüssen zu finden. Es ist doch so:

Alle spirituellen Wege und Religionen sind wie verschiedene Wassersorten. Da gibt es Regenwasser, Mineralwasser, Flusswasser, Meerwasser, Cola und Limo, Bier, Urin und so weiter. Im ersten Moment scheinen das alles verschiedene Wassersorten zu sein.

Doch heute wissen wir, dass wir aus all diesen verschiedenen Wassersorten reines Wasser destillieren können. Also ist das jetzt schon die Metapher für das Ziel aller spirituellen Wege und Religionen? 

 

Nein, natürlich nicht. Denn wenn wir uns das Wasser an sich genauer ansehen, stellen wir fest, dass es sich aus Molekülen zusammen setzt. Was wir also eigentlich destillieren ist nicht Wasser, sondern H2O.

Gehen wir nun auch noch darüber hinaus, wie es im Hannya Shingyo, dem Herz-Sutra heißt:

 

„Darüber hinaus gehen und noch jenseits des darüber hinaus an das Ufer des Satori.“ und schauen uns diese Moleküle noch genau an.

Dieses Molekül besteht wiederum aus 2 Atomen Wasserstoff und einem Atom Sauerstoff. Gehen wir auch darüber hinaus, entdecken wir, dass zwischen dem Atomkern und den ihn umkreisenden Neutronen und Protonen ein riesiger leerer Raum ist.

 

Wenn also die äußere Hülle eines Atoms so groß wäre wie ein Fußballfeld, also einen Durchmesser von 100 Metern hätte, dann wäre der Atomkern, der fast die gesamte Masse des Atoms beinhaltet, nur so groß wie ein Stecknadelkopf!

 

Dazwischen ist nichts und damit näheren wir uns allmählich der Essenz aller Religionen, spirituellen Wege und des Lebens an sich. Natürlich nur metaphorisch gesprochen.

 

Wir können diese Essenz nicht erklären oder beschreiben, da wir selbst diese Essenz sind. So wie sich ein Messer nicht selbst schneiden und eine Hand sich selbst nicht ergreifen kann, können wir niemals das wahrnehmen, was Quelle jeglicher Wahrnehmung ist.

 

Der Ausdruck dieser Erkenntnis, wenn sie uns denn wirklich durchdringt und nicht nur intellektuell verstanden wird, ist ein Gefühl von unglaublicher Solidarität, Einheit, Liebe, Frieden und Mitgefühl für alle Wesen.

 

Und das ist die Essenz fast aller spirituellen Wege und der mystischen Seite vieler Religionen.

 

Wenn Du also Deinen Durst stillen willst, dann frag nicht andere danach, wie es ist Wasser zu trinken, sondern koste selbst, indem Du Dich einem vertrauensvollen Lehrer zuwendest und durch Deine eigene intime Erfahrung zum Beispiel durch Zazen, das Glas Wasser bis auf den Grund leerst. Nur so weißt Du, wie es sich anfühlt Wasser zu trinken, das ist Zen.